Einordnung Koalitionsvertrag Bayern - Demokratie im Digitalen?

Bayern ist das Land der direkten Demokratie. Und doch hat es seit 13 Jahren keinen Volksentscheid „von unten“ mehr gegeben. Außerdem ist Bayern das letzte Bundesland, in dem es noch kein Informationsfreiheits- oder Transparenzgesetz auf Landesebene gibt. Im Zuge von schwindendem Vertrauensverlust in unsere Demokratie und zunehmenden Polarisierungen braucht es offene Diskussionsräume und mehr Möglichkeiten zur politischen Mitgestaltung. Kurzum: Demokratie-Reformen sind nötig! Mehr Demokratie Bayern hat deshalb für die Landtagswahl 2023 im Rahmen einer „Demokratie-Offensive“ drei konkrete Verbesserungen gefordert: Ein Bayerisches Transparenzgesetz, einen Pilotbürgerrat auf Landesebene sowie die digitale Unterschriftensammlung bei Bürger- und Volksbegehren.

Was ist daraus geworden? Welche Ansätze haben es in den Koalitionsvertrag und damit ins Programm der neuen Staatsregierung geschafft? Diesen Fragen möchten wir hier nachgehen.

 

Wahlprüfsteine/Wahlprogramme

Die Ausgangslage für die von uns geforderten Demokratie-Reformen war politisch ambivalent. Die Freien Wähler stimmten - wie auch alle anderen befragten Parteien - mit den Forderungen unserer „Demokratie-Offensive“ überein und führten in ihrem Wahlprogramm sogar weitere demokratiepolitische Forderungen auf (Absenkung der Unterschriftenhürde bei Volksbegehren, Verlängerung der Bindewirkung für Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene etc.). Die CSU sprach sich jedoch konsequent gegen die Umsetzung unserer drei Kern-Themen aus.[1]Das Wahlprogramm der CSU enthielt darüber hinaus keine expliziten Verbesserungsvorschläge für die (direkte) Demokratie in Bayern. Zur Bürgerbeteiligung und der direkten Demokratie bekennt sich die CSU grundsätzlich schon, wie sie erst im Frühjahr 2023 in ihrem neuen Grundsatzprogramm festhielt.

 

Koalitionsvertrag 2023: Demokratiepolitik = Fehlanzeige

Mit Blick auf den neuen Koalitionsvertrag stellt man fest, dass sich das Thema Demokratie-Politik kaum bis gar nicht wiederfindet. In der Präambel beruft sich die Staatsregierung auf die demokratischen Werte und Institutionen, möchte diese stärken und gegen Extremismus absichern. Einen Ausbau der Demokratie und Mitsprache leitet die Staatsregierung durch die Berufung auf die Demokratie aber nicht ein. In den darauf folgenden Seiten des Koalitionsvertrags gibt es so gut wie keine Äußerungen darüber, wie die Demokratie konkret gestärkt werden soll. Einzig die wöchentliche „Verfassungsviertelstunde“ für Schülerinnen und Schüler in Bayern lässt sich als Demokratie-Maßnahme verstehen. Zur direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung schweigt der Koalitionsvertrag. Auch die Themen Wahlalter 16 oder Jugendbeteiligung sind nicht zu finden. Große Demokratie-Reformen sind auf Basis des Koalitionsvertrags nicht zu erwarten. Demokratiepolitisch ist der Koalitionsvertrag damit mutlos.

Zum Vergleich: Im Koalitionsvertrag von 2018 verständigten sich CSU und Freie Wähler noch darauf, „offen für mehr Bürgerbeteiligung, z. B. durch Referenden [zu sein]. Insbesondere in Europafragen wollen wir die Bürgerbeteiligung durch Bürgerdialoge stärken. Ein Instrument für mehr Bürgerbeteiligung kann der Bürgerantrag nach Art. 18b der Gemeindeordnung (GO) sein.“[2]Ein ähnliches Bekenntnis fehlt im Vertrag von 2023.
 

Demokratie-Aufbruch im Digitalen?

Während der Ausbau der Demokratie nicht explizit im Koalitionsvertrag auftaucht, betonen CSU und Freie Wähler deutlich die Aspekte Digitales, Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung in der Verwaltung. Gerade letztere soll durch die Digitalisierung bürgernäher werden.

 

Transparenzgesetz im Koalitionsvertrag?

Hierbei lassen sich Anknüpfungspunkte für unsere Themen finden. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Bei der Transparenz von Verwaltungshandeln machen wir einen Schritt nach vorn. Über Digitalisierung schaffen wir Plattformen zum Austausch von Daten und Informationen zwischen den Verwaltungsebenen einerseits und Verwaltung und Bürgerinnen und Bürgern andererseits.“[3] Dieser Absatz ist keine Garantie für ein bayerisches Transparenzgesetz. Er gibt aber die Möglichkeit her, sich in unseren Forderungen nach mehr Transparenz und einem Portal ähnlich dem Hamburger Transparenzportal auf den Koalitionsvertrag zu beziehen. Wir haben hiermit einen Fuß in der Tür, um über die technische Schiene eine unserer Demokratie-Forderungen umzusetzen.

 

Digitale Unterschriftensammlung im Koalitionsvertrag?

An anderer Stelle halten CSU und Freie Wähler fest: „Wir unterstützen die Kommunen bei ihren Verpflichtungen, das Onlinezugangsgesetz umzusetzen und damit ihre Verwaltungsleistungen digital anzubieten. Bürgerinnen und Bürger können unmittelbar über ihre Bürgerkonten mit der Kommunalbehörde kommunizieren, wodurch die digitale Antragsbearbeitung erheblich beschleunigt wird.“[4]

Dieser Absatz ist für uns relevant, da sich darin einerseits die Vereinfachung/Digitalisierung von Anträgen ableiten lässt. Bürgerbegehren/Volksbegehren sind per Definition Anträge auf die Durchführung eines Bürgerentscheids/Volksentscheids. Rein logisch ließe sich daher argumentieren, dass auch Bürgerbegehren und Volksbegehren digitalisiert werden sollen. Andererseits stimmt positiv, dass man Anträge zukünftig über digitale Bürgerkonten ausfüllen wird können. Mithilfe der Bürgerkonten ist es Menschen in Schleswig-Holstein bereits jetzt möglich, Volksinitiativen digital zu unterzeichnen. Wenn wir uns frühzeitig darum bemühen, dass die Bürgerkonten auch zur Unterzeichnung von direktdemokratischen Initiativen genutzt werden, besteht hier Potenzial, auf Basis des Koalitionsvertrags die Umsetzung der digitalen Unterschriftensammlung voranzutreiben.

 

Keine Spur vom Bürgerrat

Während der Koalitionsvertrag Argumentationsspielräume hinsichtlich Transparenz und digitaler Unterschriftensammlung lässt, findet sich zum Thema Bürgerrat auf Landesebene kein Wort. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten fünf Jahren kein landesweiter Bürgerrat stattfinden wird. Die Freien Wähler hatten im Vorfeld angekündigt, sich für einen Bürgerrat einzusetzen, die CSU hat ihre Skepsis gegenüber einem landesweiten Bürgerrat deutlich zum Ausdruck gebracht und sich wohl bei den Koalitionsverhandlungen in diesem Punkt durchgesetzt. Ungeachtet dessen finden weiter Bürgerräte in bayerischen Gemeinden statt. Seit 2019 haben Menschen in Bayern an 14 kommunalen Bürgerräten teilgenommen. Ob zur Enkeltauglichkeit vom oberfränkischen Leupoldsgrün, dem Klima in Erlangen oder der Innenstadtgestaltung in Amberg: Die Themenvielfalt in bayerischen Bürgerräten ist groß. Außerdem zeigt sich daran, dass Kommunen Labore der Demokratie sind, wo Experimente für eine bessere Demokratie ausprobiert werden. Gut möglich, dass die neue bayerische Staatsregierung in fünf Jahren landesweite Bürgerräte einfordert, wenn sich das Instrument bis dahin im Freistaat bewährt hat.

 


[2]Siehe Koalitionsvertrag CSU/Freie Wähler 2018, Seite 10

[3]Siehe Koalitionsvertrag CSU/Freie Wähler 2023, Seite 36

[4]Siehe Koalitionsvertrag CSU/Freie Wähler 2023, Seite 35