Bericht: 20 Jahre Bürgerbegehren in Bayern


Anlässlich des ersten Bürgerentscheids vor 20 Jahren legt Mehr Demokratie Bayern seinen neuen Bürgerbegehrensbericht vor. Hierfür wurden sämtliche Verfahren archiviert und ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen: Die Bürger gestalten aktiv mit.

Heute vor 20 Jahren fand in Waldsassen (Oberpfalz) der erste Bürgerentscheid in Bayern statt. Die Aufregung war damals groß. Gerade nachdem am 1. Oktober 1995 das Gesetz zum kommunalen Bürgerentscheid per Volksentscheid durchgesetzt worden war, zeichneten die Gegner/innen düstere Zukunftsvisionen. Mittlerweile hat sich in Bayern einiges getan. Es kam zu mehr als 2.200 Bürgerbegehren und 1.600 Bürgerentscheiden. Die direkte Demokratie ist also im kommunalpolitischen Alltag angekommen. Leider gibt es keine öffentliche Archivierung und Auswertung der Bürgerbegehren. Daher hat Mehr Demokratie diese Aufgabe zusammen mit der Philipps-Universität Marburg und der Bergischen Universität Wuppertal übernommen.

Im Folgenden sehen Sie eine Zusammenfassung unseres Berichts.

Den kompletten Bericht können Sie hier herunterladen...

Unsere Fragestellungen:

  • Wie entwickelt sich die direkte Demokratie auf der kommunalen Ebene?

  • Wie häufig und zu welchen Themen kam es in den einzelnen Bundesländern zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden?

  • Zu welchen Ergebnissen führten Bürgerbegehren und Bürgerentscheide?

  • Wie wirken sich die gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Ländern auf die Praxis aus?

  • Wie ist es zu erklären, dass relativ viele Bürgerbegehren scheitern?

  • Welche Rolle spielen die von oben (durch Gemeinderäte) initiierten Ratsreferenden?

Ergebnisse im Überblick:

  • Bayernweit 2.676 Verfahren auf kommunaler Ebene vom 1. November 1995 (Einführung per Volksentscheid) bis zum 31.10. 2015.

  • Davon 2.220 von unten (durch Bürgerinnen und Bürger per Unterschriftensammlung) angestoßene Bürgerbegehren und 456 von oben (durch den Gemeinderat) initiierte Ratsreferenden.

  • In 1.629 Fällen kam es zu einem Bürgerentscheid.

  • Bayern ist damit weiterhin bundesweiter Spitzenreiter: 40 Prozent aller Verfahren fanden in Bayern statt (Stand 2014).

  • Die meisten Verfahren fanden in den Jahren 1996 – 1998 statt (Themenstau). Danach pendelte es sich auf ein Mittel von 100 – 130 Verfahren pro Jahr ein.

  • 16,4 Prozent aller von unten initiierten Bürgerbegehren (364 von 2.220) wurden für unzulässig erklärt. Damit hat Bayern bundesweit den niedrigsten Anteil an unzulässigen Bürgerbegehren.

  • 43 Prozent aller abgeschlossenen Verfahren waren erfolgreich im Sinne der Vorlage (bei Ratsreferenden im Sinne des Gemeinderats, bei Bürgerbegehren im Sinne der Initiative). Dafür musste nicht zwingend ein Bürgerentscheid stattfinden. In 329 Fällen etwa wurde ein entsprechender Beschluss des Gemeinderates ohne Bürgerentscheid erreicht.

  • Betrachtet man nur die Abstimmungen, waren von den durch Bürgerbegehren ausgelösten Bürgerentscheiden 48,3 Prozent erfolgreich. Von oben angestoßene Ratsreferenden hatten eine marginal höhere Erfolgsquote von 48,9 Prozent.

  • 7,9 Prozent aller Bürgerentscheide scheiterten unecht: Obwohl die Vorlage die Mehrheit der Stimmen erhielt, war die Entscheidung ungültig, da das Zustimmungsquorum nicht erreicht wurde.

  • Durchschnittlich beteiligten sich 52.2 Prozent der Abstimmungsberechtigten an den Abstimmungen der letzten 20 Jahre. Zur Auswertung wurden 1.612 Bürgerentscheide von 1995 bis 2015 herangezogen.

Spitzenreiter

  • Oberbayern mit 935 Verfahren (Bürgerbegehren und Ratsreferenden), Schwaben mit 416 Verfahren und Unterfranken mit 334 Verfahren. Schlusslicht ist Niederbayern mit nur 225 Verfahren.

  • In Bayern finden im Durchschnitt 134 Verfahren pro Jahr statt, alleine 48 pro Jahr im Schnitt in Oberbayern. Zurückzuführen ist der Unterschied zwischen den Bezirken überwiegend auf die Anzahl der Gemeinden (500 in Oberbayern, 340 in Schwaben)

  • Gemeinden mit den meisten Bürgerbegehren und Ratsreferenden: Augsburg (28 Verfahren / 7 Bürgerentscheide), München (27 Verfahren / 10 Bürgerentscheide), Regensburg (19 Verfahren / 11 Bürgerentscheide) und Passau (19 Verfahren / 8 Bürgerentscheide).

  • Die meisten Abstimmungen gab es in Landsberg am Lech (15 Bürgerentscheide), Coburg (14 Bürgerentscheide) und Oberammergau (12 Bürgerentscheide).

  • Durchschnittlich erlebt eine bayerische Gemeinde alle 16 Jahre ein Bürgerbegehren oder ein Ratsreferendum, ein Landkreis alle 23 Jahre. Damit liegt Bayern mal nicht an der Spitze: in NRW kommt es in einer Gemeinde durchschnittlich alle 13 Jahre zu einem Bürgerbegehren oder Ratsreferendum. (Am häufigsten kommt es in den Bezirken Hamburgs und Berlin zu einem Verfahren).

Themenschwerpunkte

  • Die thematischen Schwerpunkte bilden Wirtschaftsprojekte mit 24,5 Prozent, Verkehrsprojekte mit 21,4 Prozent, öffentliche Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen mit 14,1 Prozent sowie öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen mit 13,6 Prozent.

Erfolge und Misserfolge

  • 43 Prozent aller abgeschlossenen Verfahren waren erfolgreich im Sinne der Vorlage.

  • In gut 48 Prozent aller Fälle fiel der Bürgerentscheid zu Gunsten der Vorlage des Bürgerbegehrens bzw. des Ratsreferendums aus.

  • In 12,5 Prozent aller Fälle wurde das Bürgerbegehren durch einen positiven Beschluss des Gemeinderates erledigt.

  • 16,4 Prozent der von unten initiierten Bürgerbegehren wurden für unzulässig erklärt. Die häufigsten Gründe für die Unzulässigkeit waren Formfehler (Bspw. Formulierung der Fragestellung)

  • Des Weiteren scheiterten 7,9 Prozent der Bürgerentscheide am 1. April 1999 eingeführten Zustimmungsquorum, d.h. sie erhielten zwar die Mehrheit der Stimmen, konnten das geforderte Quorum aber nicht überspringen.

Spezialthema: Ratsreferenden

  • Ratsreferenden werden in Bayern mit einfacher Mehrheit im Gemeinderat beschlossen (seit 1999) und orientieren sich an den Bestimmungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide.

  • Der Gemeinderat kann Ratsreferenden selbst initiieren oder diese einem Bürgerbegehren entgegenstellen. Es kommt dann zu einem Stichentscheid zwischen den beiden Vorschlägen.

  • Ratsreferenden machen in Bayern 27,1 Prozent der kommunalen Abstimmungen aus.

  • Gründe für das Ansetzen von Ratsreferenden: Reaktion auf Bürgerbegehren, Reaktion auf öffentliche Debatten, Wunsch nach politischer Signalwirkung, Notwendigkeit der Streitschlichtung.

  • In 139 Fällen waren die Ratsreferenden vom Gemeinderat selbst initiiert, in 303 Fällen waren sie ein Gegenvorschlag des Rates zu einem Bürgerbegehren (damit wurde bei jedem vierten Bürgerbegehren ein Gegenvorschlag mit zur Abstimmung gestellt).

  • Gegenvorschläge zu Bürgerbegehren boten in 52 Prozent der untersuchten Fälle keine Alternativen, sondern kehrten die Frage des Bürgerbegehrens lediglich um. Weitere 28.8 Prozent waren zumindest bedingt sinnvoll, da sie die Abstimmungsfrage inhaltlich modifizierten oder erweiterten. Lediglich 17.8 Prozent stellten eine echte Alternative zur Wahl.

  • Bei selbstinitiierten Ratsreferenden folgten knapp 60 Prozent der Abstimmenden der Gemeinderatsposition.

  • Bei Ratsreferenden als Gegenvorschläge lag die Erfolgsquote bei 49,5 Prozent. Wurde die Frage lediglich inhaltlich umgekehrt, scheiterten 51,7 Prozent, bot der Gegenvorschlag eine echte Alternative, lag die Quote bei exakt 50,0 Prozent.

Bürgerbegehrensbericht

Download:BB-Bericht

Presse-Information

Download:Presse-Info

Das Volksbegehren „Mehr Demokratie in Bayern“ des IDEE e.V. und des OMNIBUS für Direkte Demokratie setzte sich im Volksentscheid durch – gegen die CSU. 20 Jahre danach sprechen mit uns der CSU-Politiker Peter Gauweiler, verantwortlich für einen der ersten Bürgerentscheide nach den neuen Regeln, und Christian Ude, damals SPD-Oberbürgermeister der Stadt München, über den Entscheid und seine Folgen.

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Wie hat die direkte Demokratie das kommunalpolitische Leben in Bayern verändert?

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Die erste Volksabstimmung über die Volksabstimmung in Deutschland. Ein Interview mit Brigitte Krenkers, Mit-Initiatorin des Volksbegehrens.

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Vor 20 Jahren führte Bayern per Volksentscheid die direkte Demokratie in Städten und Gemeinden ein: die erste „Volksabstimmung über die Volksabstimmung“ und zugleich Geburtsstunde des Vereins Mehr Demokratie. An die Anfänge des Volksbegehrens und die politische Situation damals erinnert sich Thomas Mayer, Mitgründer von Mehr Demokratie und Vertrauensperson des Volksbegehrens.

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