Volksentscheids-Ranking: Bayern deutschlandweit führend bei direkter Demokratie – Volksbegehren (Teil 1)

Der Freistaat verteidigt den ersten Platz im neuen Volksentscheids-Ranking von Mehr Demokratie. Hierbei werden die Regelungen auf kommunaler Ebene (Bürgerbegehren) und auf Länderebene (Volksbegehren) miteinander verrechnet. Im Ländervergleich erhält Bayern gemeinsam mit Bremen die Bestnote von 2,3 für seine bürger:innenfreundlichen Regelungen bei der direkten Demokratie. In diesem Artikel beleuchten wir Volksbegehren und Volksentscheide. Was läuft gut, was kann Bayern von anderen Bundesländern lernen? Dazu klären wir auf, wie bayerische Bienen die Artenvielfalt in anderen Regionen Deutschlands schützen.

Es ist das Highlight der direkten Demokratie in Bayern in den letzten Jahren: das Volksbegehren „Artenvielfalt“, das fast 1,8 Millionen stimmberechtigte Bayer:innen (ca.18% aller Wahlberechtigten) unterstützten. Es ist das bis dato erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte des Freistaats. Auch Ministerpräsident Söder erkannte die pro-Bienen-Stimmung in Bayern und bot der Initiative am runden Tisch das Gespräch an. Daraufhin nahm der Landtag die Forderungen der Initiative an, der Volksentscheid entfiel dadurch und Söder gilt seitdem als „Bienen-Freund“.

 

Trend: Direkte Demokratie wird weiter anwenderfreundlicher

Der enorme Erfolg und die große öffentliche Wahrnehmung des Volksbegehrens verschleiern jedoch, dass sich in Bayern seit dem letzten Volksentscheids-Ranking von Mehr Demokratie im Jahr 2016 keine Verbesserungen der Regelungen für Volksbegehren und – entscheide ergeben haben. Diese sind (wie wir weiter unten sehen werden) befriedigend, brauchen aber Reformen. Dafür setzt sich der deutschlandweite Trend zu anwenderfreundlichen Regelungen für Volksbegehren und Volksentscheide weiter fort. Reformen gab es in Baden-Württemberg, Bremen, Thüringen und Berlin. Die Durchschnittsnote aller Bundesländer liegt bei 3,3 und ist damit leicht verbessert im Vergleich zu 2016 (3,75).

Unter anderem durch das Engagement von Mehr Demokratie verringerte sich das durchschnittliche Unterschriftenquorum in Deutschland seit 1989 von 18 Prozent auf 7,6 Prozent heute. In diesem Trend stechen Schleswig-Holstein (Unterschriftenquorum bei 3,6 Prozent), Brandenburg (3,8 Prozent), Bremen, Hessen und Hamburg (je 5 Prozent) hervor.

Es wird auch deutlich, dass die Anzahl der Verfahren in Deutschland in den letzten 30 Jahren zugenommen hat. Insgesamt gab es bundesweit 381 direktdemokratische Verfahren auf Landesebene, von denen 93 Prozent nach 1989 starteten.

In Bayern gab es die meisten Initiativen für ein Volksbegehren (60) aller deutschen Bundesländer. Bisher kam es in sechs Fällen zum Volksentscheid. Bei Verfassungsänderungen kommt es in Bayern automatisch zum Volksentscheid (so genanntes obligatorisches Referendum). Dieser Fall ist bisher 14 mal im Freistaat eingetreten.

Gute und schlechte Noten: das Volksbegehren-Zeugnis für Bayern

Im Folgenden beschreiben wir kategorisch, wie Mehr Demokratie die Regelungen für Volksbegehren und Volksentscheid in Bayern bewertet. Dazu listen wir auf, was der Freistaat von anderen Bundesländern abspicken kann.

 

Themenausschluss (4-):

Positiv zu bewerten ist, dass es seit 2013 für Menschen in Bayern die Möglichkeit gibt, bei Europafragen die Landesregierung per Volksentscheid an ein bestimmtes Votum im Bundesrat binden zu können. Jedoch überwiegt in dieser Kategorie das Negative. In Bayern darf nicht über Haushaltsfragen per Volksentscheid abgestimmt werden. Dieses sogenannte Finanztabu (betrifft Haushalt, Abgaben, Besoldung) wird von bayerischen Gerichten besonders strikt ausgelegt, wodurch sie das Themenspektrum für zulässige Volksbegehren einschränken. Besser sind die Regelungen beispielsweise in Berlin, Niedersachsen und Sachsen, deren Landesverfassungsgerichte die Zulässigkeit finanzwirksamer Volksbegehren ausdrücklich erlauben. Wünschenswert wären Regelungen wie in der Schweiz und in den Staaten der USA, wo nahezu alle Themen zugelassen sind und Volksentscheide zu Finanzfragen teilweise obligatorisch sind.

 

1. Verfahrensstufe: Antrag auf Volksbegehren (2-):

Die nötige Unterschriftenzahl für den Antrag auf ein Volksbegehren liegt in Bayern bei 25.000. Da es für das Sammeln dafür keine Frist gibt, bewertet Mehr Demokratie die Regelungen als bürger:innenfreundlich. Leider findet eine Behandlung des Antrags im Bayerischen Landtag nicht statt. Diese frühzeitige Anhörung der Initiative im Landtag gibt es in neun Bundesländern. Dadurch haben Initiierende und Politiker:innen bereits in einem frühen Verfahrensstadium die Chance, miteinander in den Austausch zu treten und Kompromisse zu finden. Der Vorteil dieser Regelung lässt sich beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern ablesen: von den 54 eingeleiteten Volksinitiativen wurden 14 ganz oder teilweise vom Landtag übernommen, ohne, dass es überhaupt zum Volksbegehren kam. Bemerkenswert sind auch die Flexiblitäts-Regelungen in Berlin und Hamburg. Dort können Initiativen nach ihrer Anhörung im Landtag den Text ihres bevorstehenden Volksbegehrens sogar noch ändern und somit einer Unzulässigkeitserklärung entgehen.

 

2. Verfahrensstufe: Volksbegehren (5+):

Die Achillesverse der bayerischen direkten Demokratie. Das Unterschriftenquorum für ein Volksbegehren liegt in Bayern bei 10%, es müssen also mindestens eine Millionen Wahlberechtigte das Volksbegehren unterschreiben. Das Quorum des Freistaats ist damit bundesweit eines der höchsten. Andere Bundesländer machen vor, wie es gehen kann. Schleswig-Holstein (Unterschriftenquorum bei 3,6 Prozent), Brandenburg (3,8 Prozent), Bremen, Hessen und Hamburg (je 5 Prozent) verfügen über deutlich bessere Regelungen als der Freistaat. Das strikte Quorum in Bayern hat bereits mehrere Volksbegehren zum Scheitern gebracht. Nur 9 der 21 Volksbegehren in Bayern erreichten das Quorum. Läge dieses wie in Schleswig-Holstein bei 3,6 Prozent, hätten 17 von 21 Volksbegehren das Quorum erreicht. Negativ für Bayern hervorzuheben ist außerdem, dass die Menschen nur zwei Wochen für die Eintragung Zeit haben und jene auch nur bei den zuständigen Ämtern möglich ist. Inspiration kann sich der Freistaat in Hamburg holen. Dort ist neben der Amtseintragung auch die freie Sammlung von Unterschriften sowie die Eintragung per Brief möglich.

 

3. Verfahrensstufe: Volksentscheid (2) und obligatorisches Referendum (2)

Besser schaut es hingegen beim Volksentscheid aus. Lobenswert ist der Verzicht auf ein Zustimmungsquorum beim Volksentscheid über einfache Gesetze sowie die Existenz des obligatorischen Referendums, das automatisch bei Verfassungsänderungen durchgeführt wird. Kommt es zum obligatorischen Referendum bei Verfassungsänderungen, müssen in Bayern jedoch 25 Prozent der Stimmberechtigten zustimmen (Zustimmungsquorum). Mehr Demokratie lehnt Zustimmungsquoren ab, weil dadurch Stimmenthaltung faktisch als Nein-Stimmen gewertet werden und somit das Abstimmungsergebnis verzerrt wird. Vorbild hierfür sind die Schweiz und sämtliche Staaten der USA, die weder Zustimmungsquoren noch Beteiligungsquoren bei Volksentscheiden kennen. In Bayern hat es bisher 14 obligatorische Referenden zu Verfassungsänderungen gegeben. Dies ist zu begrüßen, weil wichtige Regelungen über das Gemeinwesen stets von einer Mehrheit der Bürger:innen getragen werden sollte. Für die Zukunft wäre wünschenswert, dass obligatorische Referenden nicht nur bei Verfassungsänderungen sondern auch bei anderen Themen eingeführt werden.

 

Fakultatives Referendum:

In Bayern gibt es das fakultative Referendum (bzw. den „Volkseinwand“) nicht. Dieses ermöglicht es den Bürger:innen, sich gegen einen getroffenen Parlamentsbeschluss zu stellen. Idealtypisch träte ein Gesetz erst dann in Kraft, wenn nach Beschluss im Parlament kein Einwand der Bevölkerung (durch ein fakultatives Referendum) gegen das beschlossene Gesetz angeführt wird. Die Bremer Landesverfassung beispielsweise kennt seit 2013 das fakultative Referendum bei Privatisierungen. Beschließt das Bremer Parlament einen Verkauf mit Zweidrittelmehrheit, können 25 Prozent der Abgeordneten oder 5 Prozent der Bürger:innen innerhalb von drei Monaten einen Volksentscheid herbeiführen. Der Verkauf läge in der Zwischenzeit auf Eis. In Sachsen und Thüringen wird über die Einführung des fakultativen Referendums seit einiger Zeit diskutiert.

 

Weitere Elemente (3-):

Diese Rubrik fasst mehrere Verfahrenselemente zusammen, die gemeinsam die Chancengleichheit, den Informationsgrad und die Qualität von Volksbegehren und -entscheiden steigern. Der Vergleich mit anderen Bundesländern zeigt, dass Bayern hier noch Potential nach oben hat. So kann das Bayerische Parlament eine Gegenvorlage zu einem Volksentscheid nach erfolgreichem Volksbegehren stellen, was die Kompromissmöglichkeiten und Auswahl an Abstimmungsalternativen erhöht. Anders als in acht weiteren Bundesländern gibt es in Bayern keine Kostenerstattungen für Initiativen zur Verbesserung der Chancengleichheit. Ebenso gibt es in Bayern keine Abstimmungsbroschüre. Unter anderem wird in Thüringen, Schleswig-Holstein und Hamburg jedem Haushalt im Vorfeld eines Volksentscheids eine Abstimmungsbroschüre zugeschickt wird, in der die Argumente der jeweiligen Positionen dargelegt sind. Dies erhöht den Informationsgrad in der Bevölkerung enorm, besonders wenn die Broschüre in einfacher Sprache gehalten ist. Bessere Noten hätte es darüber hinaus gegeben, wenn es eine staatliche Beratung von Volksbegehrensinitiativen in Bayern gäbe.

Fazit: befriedigend aber Nachhilfebedarf

Betrachtet man nur die Regelungen zu Volksbegehren und -entscheid in Bayern und verrechnet man die Noten der untersuchten Kategorien, so steht unter dem Strich einen Notendurchschnitt von 2,9. Damit liegt der Freistaat deutschlandweit auf Platz 3 bei den Regelungen zur direkten Demokratie auf Länderebene. Obwohl gut, gibt es punktuelle Verbesserungsansätze aus anderen Bundesländern bei den Regelungen zum Antrag auf Volksbegehren, dem Volksentscheid und dem obligatorischen Referendum. Doch Bayern braucht auch weitreichende Nachhilfe. So gibt es weiterhin zu viele Themen, die von Volksbegehren und -entscheide ausgeschlossen sind. Die Regelungen in der 2. Verfahrensstufe (Volksbegehren) verursachen große Bauchschmerzen und sollten schnell verbessert werden. Hier kann sich Bayern viel von anderen Bundesländern wie Hamburg und Bremen abgucken.

Wie bayerische Bienen die direkte Demokratie in Deutschland bestäuben

Lange Zeit galt Bayern als Vorreiter der direkten Demokratie in Deutschland. Diesen Status hat der Freistaat weiterhin inne, und doch schließen Bundesländer wie Hamburg, Berlin und Bremen auf. Es wird also Zeit, dass Bayern die Regelungen übernimmt, die in anderen Bundesländern bereits gut funktionieren und dafür sorgen, dass die direkte Demokratie auf Länderebene bürger:innenfreundlicher wird. In mindestens einer Sache haben sich die anderen Bundesländer aber in der letzten Zeit von Bayern inspirieren lassen. Nach dem Erfolg des Bienen-Volksbegehrens in Bayern starteten Initiativen in Baden-Württemberg, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen ihrerseits Volksbegehren zum Thema Artenvielfalt. Damit setzten die bayerischen Bienen ein Zeichen nicht für Umweltschutz in Bayern sondern für direkte Demokratie in ganz Deutschland.

 

Das gesamte Volksentscheids-Ranking finden Sie anschaulich und mit allen Zahlen hier.

Mehr Demokratie vergleicht und bewertet seit 2003 die Regelungen der direkten Demokratie auf Kommunal- und Landesebene in allen Bundesländern nach einem wissenschaftlichen Verfahren. Zu Grunde liegt ein optimales Design der direkten Demokratie, das sich an bereits etablierten Regelungen sowie am Ideal einer bürgerfreundlichen Demokratie orientiert und außerdem den praktischen Umgang mit Bürger- und Volksbegehren im jeweiligen Bundesland mit einbezieht. Das Volksentscheidsranking 2021 ist der sechste Ländervergleich.

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