Ein Urteil für die Grundrechte

Selbstverständlich tragen wir die Schutz- und Hygienemaßnahmen mit. Gleichzeitig wollen wir Möglichkeiten entwickeln und aufzeigen, wie trotz der Kontaktbeschränkungen die Zivilgesellschaft ihren Ausdruck findet und die Versammlungsfreiheit ermöglicht werden kann. Diese braucht es gerade in Zeiten der Grundrechtseinschränkungen.

Foto @Simon Strohmenger

 

In der pluralistischen Demokratie brauchen wir Meinungsvielfalt, um die offene Gesellschaft zu gewährleisten. In der Vergangenheit haben wir immer wieder erfahren, wie durch den Austausch der Menschen Lösungen entstanden sind, die wir im Vorfeld noch nicht einmal erahnt haben. Wir vertrauen darauf, dass die Menschen grundsätzlich vernünftig und rücksichtsvoll sind. Das Potential der Bürgerinnen und Bürger muss in die Diskussion miteinbezogen werden, denn wer beteiligt ist, fühlt sich mitverantwortlich. Was wir also brauchen, sind neue Ideen und Lösungen mit den Grundrechtseinschränkungen umzugehen und nicht pauschal alles zu verbieten. Wir wollen das Nötige anerkennen und konstruktiv, unter geänderten Bedingungen, zum Finden von Lösungen beitragen, um souverän die Zukunft mitzugestalten.

 

Letzten Freitag konnten wir einen wichtigen Beitrag für unsere Demokratie leisten:

Unter dem Titel „Lesen für die Demokratie“ hatten wir - zusammen mit dem OMNIBUS FÜR DIREKTE DEMOKRATIE und dem ödp-Stadtverband München - eine kleine Versammlung mit zwölf Teilnehmer:innen unter Einhaltung der Abstandsregeln, auf dem Münchner Marienplatz beantragt. Wir wollten aus dem Grundgesetz vorlesen, um so ein Zeichen für unsere Grundrecht und die Versammlungsfreiheit zu setzen. Die Versammlung wurde vom KVR München verboten. Nach einigem nervenaufreibendem Hin und Her und dem Gang durch die Instanzen, entschied letztlich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zu unseren Gunsten: Ein pauschales Versammlungsverbot ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar!

 

Somit durfte zum einen unsere Versammlung stattfinden. Zum anderen ist dies aber auch ein wegweisendes Zeichen, das die Demokratie in diesen Zeiten stärkt:

  • Initiativen haben jetzt unter Berufung auf das Urteil wieder die Möglichkeit, sich in kleinem Rahmen, mit Mindestabstand im öffentlichen Raum zu versammeln um ihr Anliegen sichtbar zu machen

  • Versammlungen dürfen nicht pauschal abgelehnt werden, sondern es sind immer die konkreten Einzelfälle zu berücksichtigen.

  • Verwaltungen müssen auch zu Corona-Zeiten Wege und Mittel finden, Versammlungen zu ermöglichen.

 

Bei Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!

 

Den Beschluss des Verwaltungsgerichts und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes finden Sie am Ende der Seite.

Eine Einschätzung des bayerischen Vorstands zur Demokratie in der aktuellen Situation finden Sie hier: https://bayern.mehr-demokratie.de/einzelansicht-der-nachricht/news/wo-bleibt-der-demokratische-kompass/

Fotos von unserer Versammlung am Marienplatz finden Sie hier: https://www.flickr.com/photos/mehr-demokratie/albums/72157713982459232

 

Hintergrund:

Die Demonstration war von der Versammlungsbehörde der Stadt München in erster Instanz abgelehnt worden. Ebenso der darauf folgende Widerspruch der Initiatoren. Gegen eine positive Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgericht legte wiederum das Kreisverwaltungsreferat Widerspruch ein. Letztendlich war ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs notwendig. Dieser entschied, dass der Versammlung stattgegeben werden muss.

 

Das Urteil im Wortlaut:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (8.v.15.4.2020 - 1 BvR 828/20 - juris) und des erkennenden Senats (8.v.9.4.2020 - 20 CE 20.755 - der Antragsgegnerin bekannt) die verfassungsrechtlichen Maßgaben des Art. 8 Abs. 1 GG leerzulaufen drohen, wenn - wie hier - gegen die Zulässigkeit einer Versammlung pauschale Bedenken geltend gemacht werden, die jeder Versammlung entgegengehalten werden müssten, ohne dabei die im konkreten Einzelfall maßgeblichen Umstände (wie die Örtlichkeit, die voraussichtliche Teilnehmerzahl, das Thema und den Inhalt der Versammlung) in hinreichender und nachvollziehbarer Weise zu berücksichtigen, und so die Demonstration ermöglicht.

Folgend die Beschlüsse des VG und des VHG