Verhindern die Menschen in Bayern Kulturprojekte?

Ein beliebtes Argument gegen die direkte Demokratie lautet, die Bürgerinnen und Bürger seien „notorisch dagegen“, weshalb Bürgerbegehren und Bürgerentscheide als Instrumente zur Verhinderung von Vorhaben genützt würden. Besonders eindrücklich kam diese Debatte zuletzt in Ingolstadt zu tragen, wo die Menschen am 24.07. im Bürgerentscheid mehrheitlich gegen den Bau der Kammerspiele stimmten. Bestätigt der Ausgang also die Kritik, die Bürgerinnen und Bürger Bayerns stimmen immer dagegen, besonders gegen Kulturprojekte? Nein, denn die Zahlen zeichnen ein differenzierteres Bild.

Foto: Matheus Viana

Es sei „nicht unbedingt die klügste Wahl“, die Menschen über kulturelle Belange direktdemokratisch abstimmen zu lassen, denn schließlich sei die Hochkultur „nun einmal jedermanns Sache nicht“, so schrieb es ein Journalist in Ingolstadt im Vorfeld des Bürgerentscheids über den Bau der Kammerspiele am 24.07. Rückblickend wären wohl weitere kulturelle Einrichtungen der Stadt vom Bürgerwillen einkassiert worden, hätte man die Ingolstädter Bevölkerung darüber abstimmen lassen, so der Journalist weiter.1

Diese Passage greift eine Tendenz einiger Kommentare in Bezug auf die direkte Demokratie auf. Die Bevölkerung sei eigentlich gegen den Ausbau oder Erhalt von Kulturprojekten und würde sich durch die direkte Demokratie verbindlich dagegen aussprechen. Mehr Demokratie ist der Frage nachgegangen, ob Menschen in Bayern durch die direkte Demokratie mehrheitlich den Ausbau von Kulturprojekten im Freistaat verhindern wollen. Dafür haben wir untersucht, mit welchem Ziel direktdemokratische Verfahren hinsichtlich Kulturprojekten gestartet werden und wie die Ergebnisse dieser Verfahren lauten.

 

Zielrichtung: ausgeglichen für und gegen Kulturprojekte

Mehr Demokratie e.V. hat alle Bürgerbegehren und Ratsreferenden zu Kulturprojekten in Bayern seit 1995 analysiert. Insgesamt hat es bisher 122 Verfahren im Freistaat zum Thema Kulturprojekte gegeben. Unter Kulturprojekte versteht Mehr Demokratie unter anderem den Bau von Theatern, Museen und Denkmälern. Betrachtet man lediglich die Zielrichtung der direktdemokratischen Verfahren, erkennt man, dass 40 Verfahren das Ziel hatten, Kulturprojekte zu ermöglichen, 41 Verfahren waren gegen die Durchführung von Kulturprojekten ausgerichtet und bei weiteren 41 Verfahren kann keine eindeutige Zielrichtung pro/kontra Kulturprojekte ermittelt werden. Bei Letzteren geht es beispielsweise um den Standort des jeweiligen Projekts oder andere Details, die nicht grundsätzlich für oder gegen das Projekt als solches zielen.

Die Motivationen, um Fragen zu Kulturprojekten in Bayern direktdemokratisch zu lösen, sind damit ausgeglichen. Keineswegs lässt sich sagen, Bürgerinnen und Bürger würden lediglich dann Bürgerbegehren starten, wenn sie Kulturprojekte verhindern wollen. Stattdessen richtet sich je ein Drittel aller Verfahren für oder gegen Kulturprojekte sowie ein Drittel zu Detailfragen bei Kulturprojekten.

 

Ergebnis: 40,2 Prozent der Verfahren verhindern Kulturprojekte

Während die Motivationen und Intentionen hinter den Verfahren ausgeglichen sind, betrachten wir in einem zweiten Schritt, welche Ergebnisse aus diesen direktdemokratischen Verfahren entsprungen sind. Von den 122 Verfahren in Bayern sind 49 mehrheitlich gegen den Bau oder die Durchführung von Kulturprojekten ausgegangen, was 40,2 Prozent aller direktdemokratischen Verfahren zu Kulturprojekten entspricht. In 30 Fällen war das Ergebnis der direktdemokratischen Verfahren am Ende pro Kulturprojekt (24,6 Prozent).

Zweimal kam es zu einem Kompromiss (1,6 Prozent) während es wie bereits erwähnt in 41 Verfahren keine klare pro/kontra Haltung zu Kulturprojekten zu erkennen gab (33,6 Prozent).

In knapp 40 Prozent aller Verfahren waren Verfahren erfolgreich, die sich gegen Kulturprojekte aussprachen. In weniger als der Hälfte der Fälle gehen direktdemokratische Verfahren demnach gegen Kulturprojekte aus. Von einer grundlegenden antikulturellen Haltung in der bayerischen Bevölkerung zu sprechen, lassen die Zahlen von Bürgerentscheiden und Bürgerbegehren somit nicht zu. Andersherum werden Kulturprojekte in jedem vierten entsprechenden Bürgerentscheid oder Bürgerbegehren durch die Bevölkerung positiv angenommen.

 

Fazit

Die Daten zur direkten Demokratie hinsichtlich Kulturprojekten in Bayern widerlegen die Behauptung, die Menschen im Freistaat wären notorisch gegen den Bau, den Erhalt oder die Durchführung von Kulturprojekten. Ob die Menschen für oder gegen Kulturprojekte eingestellt sind, hängt meist von den individuellen Begebenheit vor Ort ab. So stellen sich viele Bürgerinnen und Bürger die Frage, ob die Finanzierung eines kulturellen Großprojekts in die aktuelle Lage der jeweiligen Stadt passt. Eine Ablehnung im Bürgerentscheid ist dann nicht automatisch gleichzusetzen mit einer Absage an die (Hoch-)Kultur sondern viel mehr an den aktuellen zeitlichen und finanziellen Rahmen des Projekts. Hier kann die Bevölkerung die direkte Demokratie anwenden, um Projekte in der Stadt zu priorisieren.

Im Falle des Ingolstädter Bürgerentscheids gegen die Kammerspiele empfinden die Ingolstädter die vorgelegte Entwürfe zum Bau der Kammerspiele als falsch und lehnten sie ab. Dass es auch anders gehen kann, zeigten beispielsweise die Menschen in München, als sie sich 2003 per Bürgerbegehren erfolgreich für den Erhalt des Deutschen Museums einsetzten. Andere Zeit, andere Umstände, anderes Ergebnis.

Die Hochkultur mag tatsächlich „jedermanns Sache nicht sein“. Die Demokratie hingegen ist es schon, weshalb die Menschen in Bayern auch in Zukunft mithilfe von Bürgerbegehren sowohl für als auch gegen Kulturprojekte stimmen werden. Und das ist gut so.

1Quelle:

https://www.ingolstadt-today.de/news/auf-zum-letzten-gefecht-5922541

 


Die Bürger als Investitionsrisiko?

Bei Bürgerentscheiden stimmen die Menschen grundsätzlich gegen die Wirtschaft vor Ort, weshalb man es als Unternehmen schwer hat, Investitionen in einen bestimmten Standort zu tätigen. Oder etwa nicht? In unserer Recherche setzen wir uns differenzierter mit der Frage auseinander, wie die Bürger bei Wirtschaftsfragen entscheiden.

Die ganze Recherche gibt es hier.